9.7.1903 Aus dem Gerichtssaal
Eine Eifersüchtige.
Die 1866 geborene Bahnarbeitersgattin Anna Hannig aus Schönwald bei Friedland, zuletzt in Raspenau, schöpfte schon lange Verdacht, daß ihr Mann mit der Wirtschaftsbesitzeisgattin Franziska Herbig in Raspenau ein Verhältnis unterhalte. Um nun dieses Verhältnis zu lösen, schrieb sie am 31. Dezember 1902 an den Gatten der Herbig, der zugleich der Wohnungsgeber der Eheleute Hannig ist, einen anony-men Drohbrief folgenden Inhaltes: »Wenn binnen einem Vierteljahr das Ausgedingehaus (ihre Wohnung) nicht leer ist, wird es den Funken verkauft. Gleichzeitig schrieb sie auch an ihren eigenen Mann einen unterschriftslosen Zettel, auf dem sie ihm anrät, die Wohnung aufzukündigen, da er sonst um sein Hab und Gut kommen könnte. Beide Briefe wurden auch zur Post gegeben und von dieser, wiewohl beide nur mit 5 h, also einem Heller zu wenig, frankiert waren, befördert. Vorgestern fand nun wegen dieser Drohbriefe vor einem Strafsenat des Reichenberger Kreisgerichtes die Verhandlung gegen Anna Hannig statt. Die einvernommenen Sachverständigen erklärten übereinstimmend, daß die Schrift der Drohbriefe ohne Zweifel nur von der Hannig herrühren könnten. Auch bestätigten die Kinder der Angeklagten, daß sie am Tage vor dem Neuen Jahre um 25 h Marken für ihre Mutter holen mußten. Die Hannig, die hartnäckig jede Schuld in Abrede stellte, wurde nach durchgeführter Verhandlung freigesprochen. In der Urteilsbegründung führte der Vorsitzende des Straffenates aus, daß der Gerichtshof trotz der belasten-den Zeugenaussagen und trotz des Gutachtens der Sachverständigen nicht die volle Überzeugung gewonnen hätte, daß sich die Angeklagte der ihr zur Last gelegten strafbaren Handlung schuldig gemacht habe.